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#21 Wie ich Konflikte lieben lerne

Im Rahmen einer Weiterbildung nahmen wir das Thema "Konflikte" unter die Lupe. Obwohl ich mich bereits in meiner Ausbildung zur Mediatorin viel mit diesem Thema auseinandergesetzt hatte, gab es für mich wieder einige, spannende (Selbst-) Erkenntnisse und neue Ideen. Mir wurde einmal mehr bewusst, dass ich Konflikte mit anderen Personen früher vermied und dass ich Streit als sehr unangenehm empfand. Mich begleitete die Sorge, Ablehnung von meinem Gegenüber zu erfahren, ausgegrenzt zu werden oder diese Person schlimmstenfalls sogar zu verlieren. All das hätte mich überfordert und mich noch stärker an mir selbst zweifeln lassen, als ich es damals ohnehin schon tat.


Während ich Konflikte im Außen umging, wuchs in mir die Anzahl der Konflikte, die ich mit mir selbst austrug. Es war mir damals nicht bewusst, aber mit jedem Streit, den ich mit meinen Mitmenschen vermied oder dem ich auswich, um den Anderen weiterhin zu gefallen, sprach ich mir selbst immer mehr Wert ab. Es war mir wichtiger, anderen Menschen zu gefallen, von ihnen Bestätigung zu erfahren und nicht abgelehnt zu werden, als für mich selbst, für meine eigenen Grenzen einzustehen. Ich nahm es in Kauf, diese immer wieder zu übertreten, um die vermeintliche Harmonie im Außen zu wahren, meinen Mitmenschen nicht vor den Kopf zu stoßen und es ihnen recht zu machen.

Was ich dabei übersah: ich stieß mir dadurch selbst vor den Kopf und machte es mir alles andere als recht.


Für mich war es damals einfacher, ein Stück von mir selbst aufzugeben, anstatt für mich einzustehen, meine Grenzen zu wahren und meine Prinzipien auch gegenüber anderen Menschen zu vertreten.

Unsanft wurde ich nach vielen Jahren von meinem Körper darauf aufmerksam gemacht, dass damit nun Schluss sein musste. Um meine mentale und körperliche Gesundheit wiederherzustellen, durfte ich mir schmerzlicherweise eingestehen, dass ich jahrelang nicht fähig war Konflikte im Außen auszutragen und dass ich dadurch respektlos mit mir Selbst umging. Nicht, weil ich das vorsätzlich so wollte, sondern weil ich es nicht besser wusste.


Als ich das erkannt hatte und es nach etwas Zeit auch akzeptieren und mir selbst verzeihen konnte, hinterfragte ich meine bisherige Haltung zu Konflikten. Ich erkannte, dass Konflikte für mich eine riesige Chance auf Wachstum sind - sofern sie konstruktiv ausgetragen werden. Denn hinter jedem Konflikt steht eine Sache, die mir wichtig ist, ein Wert, den ich vertreten möchte oder ein Bedürfnis, das ich mir erfüllen möchte. Ich änderte meine Sichtweise und arbeitete an meinem Umgang mit Konflikten. Wenn es mir gelingt für mich zu identifizieren, was genau für mich der Kern des Konfliktes ist und das in Worte zu fassen, kann ich gemeinsam mit meinem Gegenüber an einer Lösung arbeiten, die für uns beide stimmig ist.


Ich durfte lernen, dass es in Konflikten nicht um Recht haben, Schuldzuweisungen und Vorwürfe geht, sondern darum, dass zwei oder mehr Parteien versuchen sich ihre Bedürfnisse zu erfüllen und dabei bisher nicht übereingekommen sind. Als ich das verstanden hatte, wurde ich einfühlsamer mir selbst, aber auch meinen Mitmenschen gegenüber. Ich wurde immer besser darin, meine Grenzen zu benennen und meine Prinzipien nach außen zu vertreten. Ich verstand, dass mein Gegenüber mir in unserem Konflikt nichts böses möchte und dass eine andere Meinung keine Ablehnung oder Ausgrenzung zufolge hat. Nach und nach lernte ich Konflikte lieben, denn ich verstand, dass sie für meine zwischenmenschlichen Beziehungen und mich eine Chance sind.


Eine Chance dafür, uns noch besser kennenzulernen. Eine Chance dafür, uns gemeinsam weiterzuentwickeln. Eine Chance dafür, unsere Andersartigkeit zu erkennen und wertzuschätzen. Eine Chance dafür, ein Problem aus der Welt zu schaffen und gemeinsam eine Lösung zu kreieren. Eine Chance dafür, gegenseitige Empathie zu entwickeln und zu stärken.


Das chinesische Wort für Konflikt besteht aus zwei Schriftzeichen: das eine bedeutet Risiko, das andere bedeutet Chance. Heute entscheide ich, ob ich mich für das Risiko oder für die Chance entscheide und was ich aus einem Konflikt lerne.


Hab's fein, deine Ilaria 🤍

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