"Sei doch nicht so empfindlich."
"Sind wir heute etwas nah am Wasser gebaut?"
"Stell dich nicht so an."
"Na, so lange es nur das ist."
"Schrei nicht so."
"Anderen Menschen geht es viel schlechter."
Mach nicht dies, mach nicht das. Sei nicht so dies, sei nicht so das.
Kennt ihr solche Sätze? Egal, ob Freund:in, Familienmitglied, Lehrkraft, Vorgesetzte:r, oder wer auch immer: niemandem steht es zu über mich und meine Gefühlswelt zu urteilen und diese derartig zu kommentieren. Wirklich niemandem.
Und ich fühle, was ich fühle. Und wenn mir danach ist, dann zeige ich es, wann ich möchte, wo ich möchte und in welcher Intensität ich möchte. Denn es ist nicht mein Problem, wenn andere Menschen nicht mit meinen Gefühlen umgehen können beziehungsweise wenn sie nicht wissen, wie sie reagieren sollen. Mein Lachen zu verstecken, darum hat mich bisher noch niemand gebeten. Aber die Gefühle, die unangenehm und schwierig sein können, die passen nicht in eine Gesellschaft, in der Funktionieren auf der Tagesordnung steht. Für die ist kein Platz, wenn es mal wieder von Termin zu Termin geht. Für die ist kein Platz, wenn Hektik beim Abendessen neben Stress sitzt und die beiden sich nach einem erfolgreichen Tag zufrieden anlächeln.
"Mach' hier einfach deinen Job."
Vor allem im Berufsalltag erlebte ich immer wieder, dass Tränen oder private Herausforderungen nicht erwünscht waren. Schließlich seien wir alle nur hier, um unseren Job zu machen und da würden persönliche Empfindungen nur stören. Tut mir leid, aber so funktioniert das für mich nicht. Ich bin ein Mensch, keine Maschine und ich glaube, dass es vielen anderen auch so geht. Je mehr ich versuchte mir einzureden, dass ich stark sein und meine Gefühle im Griff haben muss, umso stärker wurden die Gefühle und umso mehr beschäftigten sie mich.
Ich steigerte mich in Konflikte rein, die eigentlich gar keine waren. Meine Konzentrationsfähigkeit war geringer, da ich mit aller Kraft versuchte, meine Gefühle im Zaum zu halten. Ohne Erfolg. Mir ging es zunehmend schlechter, denn all die Gefühle, all die Wut, den Ärger, die Traurigkeit, die Hilflosigkeit, die Verzweiflung, die Unzufriedenheit und alles, was da noch war, versuchte ich in eine Schublade zu quetschen und diese abzuschließen. Aber ich kann meine Gefühle nicht kontrollieren. Und das möchte ich auch gar nicht, denn sie zeigen mir, dass ich meine Umwelt über meine Sinne wahrnehme. Sie zeigen mir, dass ich lebendig bin.
Und Gefühle wollen gefühlt werden. Aus diesem Grund sind Gefühle für mich etwas, das mehr Raum und Zeit verdient - auch, wenn sie manchmal unangenehm sein können und es sich so anfühlt, als wollten sie uns das Leben schwer machen. Sie wollen einfach nur gefühlt werden. Was es uns tatsächlich schwer macht, ist eine Gesellschaft, in der der Bildungsgrad entscheidender ist als die emotionale Intelligenz und die den Menschen noch immer überwiegend als rein rationales Wesen sehen möchte.
Also los: mehr fühlen! Auch, wenn es mich manchmal noch viel Mut und Überwindung kostet, versuche ich meine Gefühle mehr zu zeigen - ganz egal, was andere davon halten. Und ich wünsche mir, dass es irgendwann "normal" ist. Dass wir im Kindergarten und in der Grundschule schon lernen, wie wir unsere Gefühle in Worte fassen können und dass wir offener und besser im Umgang mit Gefühlen werden. Mit unseren eigenen, aber auch denen unserer Mitmenschen. Weniger (ver)urteilen, mehr akzeptieren, mehr füreinander da sein.
Hab's fein, deine Ilaria 🤍